Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen der Menschheit. Nicht zuletzt, weil unkontrollierter Klimawandel den Planeten entweder unmittelbar durch Temperaturanstieg oder indirekt durch den Kollaps von Ökosystemen für uns Menschen unbewohnbar machen kann. Wir müssen etwas tun. Am besten jetzt sofort, bevor es zu spät ist.
Diese Erkenntnis ist denn auch die Botschaft vieler Wissenschaftler*innen, von Klimawandel-Aktivist*innen, und teilweise auch der Politik: Jetzt ist der letzte Moment, um wirksame Massnahmen zu beschliessen. Jetzt können wir das Ruder noch rumreissen, bevor wir in den Eisberg knallen. Es ist 5 vor 12; die letzte Chance, noch etwas gegen Klimawandel zu tun.
Doch diese Botschaft hat ein Problem. Anders als andere Krisen wie z.B. die Coronavirus-Pandemie ist Klimawandel eine eher langsame, schleichende Gefahr. Wir nehmen Klimawandel nicht als akute Bedrohung wahr, weil Klimawandel seine vollen negativen Konsequenzen erst in Jahrzehnten zeitigen dürfte, also in der subjektiv gesehen sehr fernen Zukunft. Wenn wir aber ständig hören, dass die Klimakatastrophe schon bald nicht mehr zu stoppen ist, wir diese Katastrophe in unserem subjektiven Alltag aber nicht wirklich zu spüren bekommen, stumpfen wir mit der Zeit emotional ab und nehmen die Gefahr der Klimakatastrophe nicht mehr ganz so ernst.
So machte 2018 eine erschreckende Nachricht die Runde: Die Menschheit habe nur noch 12 Jahre Zeit hat, um Klimawandel in den Griff zu kriegen. Die Uhr tickt, und jetzt ist die letzte Chance für eine Kurskorrektur. Dieser Appell sorgte weltweit für Schlagzeilen und hat uns damals wohl alle zutiefst schockiert. Rein intellektuell wussten wir zwar schon vorher, dass die Situation schlimm ist; dass wir so nahe am Rande des totalen Ruins sind, war uns als Nicht-Expert*innen aber nicht wirklich bewusst. Doch mit der Zeit hat sich der shockierende Effekt dieser Botschaft verflüchtigt. Wir haben vor der vermeintlich tickenden Zeitbombe die Angst verloren. Warum? Einerseits können wir rein psychologisch schlicht nicht monate- und jahrelang in einem Schock- und Stresszustand verweilen. Andererseits liess die ursprüngliche emotionale Empörung und Erschütterung mit der Zeit nach — die Aussicht auf eine grosse Katastrophe bewegt uns im ersten Moment, aber nach Wochen, Monaten und Jahren verpufft dieser emotionale Effekt, weil die angekündigte Katastrophe ausbleibt.
Bei Klimawandel klafft also eine grosse Diskrepanz zwischen objektivem Risiko und subjektiver Wahrnehmung. Ja, Klimawandel ist eine gigantische Herausforderung — aber rein subjektiv merke ich von Tag zu Tag und Woche zu Woche nicht, dass die Welt wegen Klimawandel aus den Fugen gerät. Und genau hierin liegt das Problem der “Jetzt oder nie”-Klima-Appelle: Wenn wir regelmässig mit (berechtigterweise) quasi-apokalyptischen Warnungen, Deadlines und Handlungsaufforderungen konfrontiert werden, stumpfen wir angesichts unserer subjektiven Risikowahrnehmung mit der Zeit ab. Der erste “Jetzt oder nie”-Aufruf mag uns noch aufwühlen, aber nach dem zehnten Mal zucken wir mit den Schultern, weil uns die Welt immer noch mehr oder weniger heil scheint, wenn wir aus dem Fenster schauen. Je mehr Aufrufe wir hören, dass es bald zu spät ist, desto weniger berühren sie uns.
Schlimmer noch. Diese Apokalypse-Müdigkeit kann in einer gefährlichen Form der Resignation münden: Klima-Fatalismus. Wenn wir ständig hören, dass es sehr bald schon zu spät ist, dann denken wir uns irgendwann, dass es halt wirklich schon zu spät ist. Eine solche klima-fatalistische Einstellung bedeutet in der Folge, wie die Forschung zeigt, dass Menschen viel weniger bereit sind, überhaupt noch etwas gegen Klimawandel zu tun — die “es ist bald zu spät”-Botschaft frisst ihre Kinder. Fast wortwörtlich, denn Klimafatalismus ist besonders bei jüngeren Generationen stark ausgeprägt.
Klimawandel ist eine zentrale Herausforderung für die Menschheit, aber quasi-apokalyptische Botschaften, dass wir jetzt handeln müssen, weil es sonst zu spät ist, können enorm kontraproduktiv sein. Wie sieht eine zielführendere Klimadebatte aus?
Ein positives Beispiel lieferte die New York Times im Vorfeld der UNO-Klimakonferenz in Glasgow mit einem Artikel zur Lage des Kampfes gegen Klimawandel. Im Artikel wurde zwar betont, dass wir aus wissenschaftlicher Sicht mehr und tiefgreifendere Massnahmen brauchen, um das Risiko des Klimawandels einzudämmen. Gleichzeitig wurde aber auch betont und aufgezeigt, dass wir in den letzten Jahren weltweit bereits sehr viel Positives erreicht haben und ganz grundsätzlich einen Kurs fahren, der nicht komplett falsch ist. Es wurde also aufgezeigt, dass wir grundsätzlich bereits erfolgreich gegen Klimawandel vorgehen — wir sind nicht hilflos — und, dass zusätzliche Anstrengungen noch weitere positive Effekte haben werden. Diese differenzierte und ganz leicht optimistisch stimmende Botschaft wurde mit einer wunderbaren Grafik unterstrichen:
Um die Politik, Wirtschaft und vor allem die breite Bevölkerung für einen nachhaltigen Kampf gegen Klimawandel zu mobilisieren, müssen wir die Debatte so optimistisch halten, wie es angesichts der wissenschaftlichen Datenlage angebracht ist. Klima-Fatalismus beugen wir am besten vor, indem wir vom allzu schwarz-weiss-malerischen “jetzt oder nie”-Narrativ wegkommen und den Kampf gegen Klimawandel als Spektrum an realen und wirksamen Handlungsoptionen verstehen. Es ist nicht zu spät und wir sind nicht hilflos, denn wir haben schon viel erreicht — und wir können noch einen Schritt weiter gehen, um noch mehr zu erreichen.
Klimawandel ist ein düsteres Problem, aber Menschen können am besten motiviert werden, das Problem zu lösen, wenn der Appell nicht ein düster-apokalyptisches “entweder-oder” und “jetzt oder nie” ist, sondern ein positives “es funktioniert” und “je mehr, desto besser”.