Fällt euch im Bild oben etwas auf?
Ja, die Person hält die Cola-Flasche vielleicht etwas komisch, aber das meine ich nicht.
Fällt etwas anderes auf? Na?
Genau: An der Hand ist ein Finger zu viel. Diagnose: Das Bild ist AI-generiert.
Nun gut, halb so wild. Es gibt nun mal AI-Bildgeneratoren, die solche komischen Sachen produzieren. Nicht so schlimm.
Nur ist das nicht irgendein beliebiges AI-Bild. Das ist ein Schnappschuss aus einem offiziellen Werbespot von Coca-Cola. Und es ist nicht einfach irgendein Werbespot. Es ist die berühmte “Holidays are Coming”-Werbekampagne, die Coca-Cola seit 1995 jährlich durchführt. Dieses Jahr ist sie AI-generiert.
Eine der erfolgreichsten Werbekampagnen aller Zeiten wird durch den AI-Fleischwolf getrieben. Das Ergebnis sind zu viele Finger an Händen und zu viele Pfoten bei Eisbären. Skurril wabernde Versatzstücke früherer menschengemachter Werbespots. Ohne Charme, ohne Spritzigkeit. Ein einziges tristes, belangloses Nichts.
Was ist hier los?
Was AI gut kann
Ich bin kein verbissener neo-luddistischer Gegner von AI. Im Gegenteil: Ich finde, dass AI-Anwendungen in vielerlei Hinsicht wirtschaftlichen, kulturellen, epistemischen Mehrwert schaffen. Mit Schrecken denke ich an die Zeit meiner Doktorarbeit zurück, als ich Dutzende Interviews (zum Glück mit Unterstützung einiger Studis) von Hand transkribieren musste — eine der mühsamsten, langweiligsten Büro-Tätigkeiten, die es gibt. Kognitives Waterboarding. Dank AI existiert das heute so nicht mehr: Audio zu Text umwandeln ist einer der Bereiche, in denen AI brilliert.
Es gibt viele solcher Bereiche. Die AI-Suchmaschine Perplexity.ai funtioniert ungemein gut als Einstieg für Recherchen. Die AI-Aoo Consensus ist phänomenal gut darin, zu spezifischen Fragestellungen relevante wissenschaftliche Literatur zu recherchieren und zusammenzustellen. Und der Platzhirsch ChatGPT kann — auch wenn die Herstellerin OpenAI nicht den besten Ruf haben mag — auch verdammt viel. Ich coache aktuell eine Gruppe von Gymnasium-Schüler*innen bei ihren Maturaarbeiten. Sie machen quantitative statistische Auswertungen mit R. Sie lernen die Logik von Code für R auch über Interaktionen mit ChatGPT; ich brauche keine starren Vorlesungen zu halten.
Automatisierung ist gut. Je mehr Arbeit wir an Maschinen auslagern können, desto besser.
Aber es gibt eine Domäne, in der AI zwar auch grundsätzlich technisch funktioniert, funktional letztlich aber nur destruktiv ist. Die Domäne menschlicher Kreativität und menschlicher Expressivität.
Was AI schlecht kann
Ich schaue im Moment die Serie “Shogun”. Shogun gefällt mir und ganz vielen anderen Menschen sehr gut. Warum schaue ich Shogun, warum gefällt mir die Serie?
Auf einer ganz elementaren Ebene sind die visuellen und akustischen Reize, die ich wahrnehme, positiv stimulierend. Farben, Bewegung, Geräusche. Diese Ebene kann AI gut reproduzieren. Im AI-Werbespot von Coca-Cola gibt es auch viel Farben, Bewegung und Geräusche, die stimulieren.
Aber ich schaue Shogun natürlich nicht nur deswegen. Ich finde die Serie auch intellektuell und emotional packend. Sie erzählt eine spannende Geschichte. Diese Geschichte wurde von Menschen sorgfältig geschrieben. Sie wurde von Menschen sorgfältig filmisch umgesetzt. All die Menschen, die Shogun geschaffen haben, haben ihre Ideen, Ansichten, Gedanken in einer Explosion der Expressivität in etwas Einmaligem verewigt. AI wird das, nur schon per Definition, nie können.
AI-generierte expressive Inhalte (Bilder, Videos, Musik, belletristische Texte, analytische Texte) sind das pure Gegenteil von Kreativität. Sie sind ein statistisch berechneter Durchschnitt, der sich aus den menschengemachten Beispielen, mit denen die AI gefüttert wurde, ergibt. Es ist fast wortwörtlich ein digitaler Brei, der die unglaublich vielfältigen Farben der menschlichen Kreativität zu einem eintönigen grauen Nichts verarbeitet.
Das Weinglas ist das typische Beispiel dafür. AI-Bildgeneratoren scheitern an der Aufforderung, ein Weinglas zu generieren, das randvoll mit Wein ist. Weil sie nicht kreativ sind. Die meisten Fotos von Weingläsern, mit denen die AIs trainiert werden, sind nicht randvoll. AI reproduziert einfach diesen Durchschnittswert. Das ist trivial. Das ist belanglos. Das ist grauer, fader, texturloser AI-Brei.
Nebst dieser qualitativen Ebene empfinde ich auch eine ausgeprägte emotionale Abneigung gegenüber AI-Brei. Ich geniesse Bücher, Filme, Serien, Comics, Musik, Podcasts gerade weil ich weiss, dass Menschen sie erschaffen haben. Ich will wissen, was andere Menschen denken und empfinden. Ich will Persönlichkeiten und Charakter spüren. Ich will, dass nicht alles perfekt ist. Ich will Ecken und Kanten. Ich will wilde Experimente, die vielleicht scheitern, aber den Horizont dessen, was Menschen denken können, erweitern. AI-Brei ist die Antithese zu alledem.
Rekursive Einfältigkeit
AI-Brei wird menschliche Kultur nachhaltig zum Schlechteren verändern. Expressive, kreative, künstlerischen Leistungen werden stumpfer, banaler, einfältiger. Der Grund dafür ist simpel: Es lohnt sich. Der ökonomische Zug ist längst abgefahren. Wenn Coca-Cola eine der erfolgreichsten Werbekampagnen aller Zeiten durch AI-Brei ersetzt und damit in kreativer Hinsicht das Klo herunterspült, tut Coca-Cola das, weil es sich lohnt. Der Deal geht auf. Die Herstellung kostet fast nichts. Der Werbeeffekt bleibt wohl ähnlich gross.
Es ist so gut wie sicher, dass schon heute viele Menschen davon absehen, eine kreative, künstlerische Karriere in Angriff zu nehmen, weil sie realisieren, dass sie gegen AI keine Chance haben. Und sie haben recht. AI-Brei ist im Vergleich zu menschlicher Arbeit derart günstig, dass er mit nicht-trivialer Wahrscheinlichkeit einen Grossteil menschlicher expressiver Arbeit ersetzen wird. Aufwendige menschengemachte Prestige-Serien wie Shogun wird es wohl noch eine Weile geben. Aber alles, was mit Marketing und Werbung und Grafikdesign zu tun hat, dürfte angezählt sein.
Und damit beginnt die eigentliche Todesspirale menschlicher Kreativität erst. Die AI-Schlange wird sich nämlich immer mehr in den eigenen Schwanz beissen. AI-Brei wird mit Trainigsmaterial trainiert, das grossflächig aus dem Internet abgegrast wird. Weil nun aber immer grössere Teile kreativer Inhalte im Internet bereits AI-generiert sind, werden die AI-Modelle immer stärker mit AI-Brei trainiert. Der bereits heute fade AI-Brei wird in der Folge immer dünner, immer ungeniessbarer. Ein digitaler Ouroboros des AI-Schrotts.
Einen Silberstreifen gibt es aber am Horizont. Wenn diese Spirale der rekursiven Einfältigkeit von AI-Brei, der mit AI-Brei gefüttert wird, genug lange, genug intensiv dreht, zerstört sich das System selber. Es kommt zum Kollaps der AI-Modelle. Die AI-generierten Outputs werden Schritt für Schritt schlechter, bis die Modelle irgendwann komplett versagen.
Der AI-Brei hat gewonnen. Mit ein wenig Glück nur vorläufig.