Zu sagen, dass Elon Musk der Liebling der MAGA-Bewegung ist, wäre massiv untertrieben. Der mit grossem Abstand reichste Mann der Welt ist so etwas wie die Lichtgestalt der Neuen Rechten. Im US-Wahlkampf gab er über 270 Millionen Dollar für Donald Trump und weitere Republikaner aus. Damit hat er sich nicht nur in den Olymp der fanatisch verehrten MAGA-Ikonen eingekauft, sondern auch ins Weisse Haus. Musk hat so viel Einfluss auf Donald Trump wie sonst kaum jemand.
Zumindest bisher. In den vergangenen Tagen ist nämlich ein unerwarteter Konflikt ausgebrochen: Musk ruft zum Krieg gegen die MAGA-Bewegung auf, die ihn vor Kurzem noch vergöttert hat.
Was ist geschehen?
An Weihnachten erklärte Elon Musk auf Twitter / X, er befürworte H-1B-Arbeitsvisen, mit denen zumeist höher qualifizierte Arbeitskräfte mit Universitätsabschluss in die USA als Arbeitsmigranten einreisen dürfen. Jährlich werden maximal 85’000 solcher Arbeitsvisen, die an eine konkrete Stelle bei einem Arbeitgeber gebunden sind, vergeben.
Das stiess in der MAGA-Bewegung auf herbe Kritik. Fundamentale Opposition gegen Migration ist der Kern von MAGA. Dass Musk nun nicht nur eine Form von Migration befürwortet, sondern gleichzeitig auch aktiv dagegen ist, mehr Menschen in den USA auszubilden, hat viele seiner treusten Anhänger schockiert. Es kam zu einem Sturm der rechten Entrüstung gegen den rechten Mogul.
Ein grosser Teil der Kritik war im Mindesten nationalistisch, oft rassistisch. Musk wurde aber vielfach auch als wirtschaftlicher Ausbeuter kritisiert. Die erzkonservative Kommentatorin Ann Coulter beispielsweise kritisierte, Musk und andere Tech-Akteure seien für H-1B-Arbeitsvisen, weil das eine Form der Leibeigenschaft sei, die insbesondere für Techunternehmen attraktiv sei.
So energisch ich praktisch allem, wofür MAGA steht, widerspreche: Die H-1B-Arbeitsvisen, auf die Musk so pocht, sind ökonomisch tatsächlich eine Form der prekären Arbeit. Einerseits können Arbeitskräfte aus dem Ausland zu Löhnen, die tiefer als marktüblich sind, angelockt werden. Andererseits verleihen solche Arbeitsverträge Unternehmen sehr viel Macht. Die Aufenthaltserlaubnis der H-1B-Arbeitsmigranten ist ganz direkt an den Arbeitgeber gebunden. Verlieren sie den Job, müssen sie das Land verlassen. Darum nehmen H-1B-Arbeiter schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf. Und sie wechseln viel weniger häufig zu anderen, besser bezahlten Jobs, weil ein Jobwechsel im Rahmen es H-1B-Visums administrativ kompliziert und riskant ist.
Wie reagiert Elon Musk auf die Kritik aus dem eigenen Lager? Er kündigt MAGA den Krieg an. Eine bizarre Entgleisung eines gekränkten Superreichen, der es nicht fassen kann, dass ihm seine sonst so wohlwollende Gefolgschaft widerspricht.
Als erste Massnahme in seinem Krieg gegen MAGA hat Musk, selbsternannter Kämpfer der freien Rede, diverse kritische Personen aus dem MAGA-Umfeld auf Twitter / X demonetarisiert oder direkt gesperrt. Unter anderem traf es Laura Loomer, eine weit rechte Influencerin und Trumps Beraterin während des Wahlkampfs.
Ein unausweichlicher Konflikt
Innerhalb weniger Tage hat sich in der MAGA-Welt eine tiefe Konfliktlinie gebildet. Auf der einen Seite die Basis der MAGA-Puristen, die konsequent gegen Migration sind. Auf der anderen Seite die MAGA-Techbros, die MAGA als Vehikel nutzen, um ihre eigenen finanziellen Interessen voranzutreiben.
Die MAGA-Puristen fühlen sich in doppelter Hinsicht von Musk und den Techbros betrogen. Einerseits, weil Musk und die Techbros das Anti-Migrations-Dogma nicht in jener Reinheit vertreten, die sich die Puristen wünschen. Andererseits und wichtiger, weil Musk und die Techbros wie auch das breitere konservative Establishment seit Jahren gegen Universitätsbildung wettern — sie nun aber ausgerechnet die mangelnde Qualifikation der einheimischen Bevölkerung als Rechtfertigung für Migration ins Feld führen. Nach dem Motto: Wir können keine Amerikaner*innen einstellen, weil sie zu wenig qualifiziert sind. Und wir sind strikte dagegen, dass Amerikaner*innen bessere Qualifikationen erlangen.
Der Autor Jeff Tiedrich fasst die unfreiwillig amüsante Position der Techbros in einem Meme zusammen:
Dass die MAGA-Selbstzerfleischung in dieser Form und so schnell kommt (Trump ist noch nicht mal im Amt), ist überraschend. Dass es grundsätzlich zu diesem Knall gekommen ist, ist es nicht. MAGA und Trumpismus sind ein grosser pseudo-populistischer Schwindel: Milliardäre, die vorgeben, sich ökonomisch für die breite Bevölkerung zu interessieren, die in Wahrheit aber unverschämt offensichtlich nur Politik wollen, mit der sie sich weiter bereichern können. Der Bogen der diametral unterschiedlichen ökonomischen Interessen von MAGA-Basis und MAGA-Elite musste irgendwann überspannt werden.
Mit dieser Deutung möchte ich die MAGA-Basis nicht moralisch reinwaschen. Ein grosser Teil der Menschen, die für Trump und Musk sind (oder waren), sind vollumfänglich irrational und lassen sich mit Gusto affektgetrieben durch rassistische Botschaften und Verschwörungsmärchen propagandisieren. Meine Analyse ist lediglich deskriptiver Natur: Die Konfliktlinie, die sich nun aufgetan hat, ist den unterschiedlichen ökonomischen Präferenzen von Basis und Elite geschuldet.
Das Ende von MAGA? Totgesagte leben (nicht immer) länger
Ein Teil der MAGA-Basis ist — wenn auch aus den falschen Gründen — für einen kurzen Moment aus der reaktionären Hypnose erwacht und hat erkannt, dass irgendetwas mit den Botschaften, die von oben herab dekretiert werden, nicht stimmt. Trump und Co. sind gegen Bildung und tun seit Jahren ihr Bestes, um öffentliche Bildung in den USA zu zerstören. Nun aber heisst es, sie, die amerikanische Bevölkerung, seien zu wenig gebildet. Sogar für hartgesottene MAGA-Anhänger war der Widerspruch für einmal zu gross.
Wird damit das Ende der MAGA-Bewegung eingeläutet, die mit Trump begann und in Musk gipfelte? Wahrscheinlich nicht. Der Konflikt rund um H-1B-Visen ist (noch) vor allem online laut. Musk hat sehr viel ökonomisches und damit politisches Kapital auf seiner Seite. Die gesamte Tech-Branche profitiert massiv von H-1B-Arbeitsmigration. Silicon Valley ist diesbezüglich eine geschlossene Front. Auf der politischen Ebene hat Musk ein entsprechend starkes Druckmittel, um Trump in seinem Sinn zu beeinflussen. Und der Druck hat bereits gefruchtet: Trump hat sich zu Wort gemeldet und öffentlich zu Protokoll gegeben, dass er die H-1B-Arbeitsmigration toll findet. Präsident Musk hat sich durchgesetzt.
Musk mag der MAGA-Basis einen Bürgerkrieg angekündigt haben, aber es sieht momentan nach einer eher kurzen Schlacht aus. Die MAGA-Fraktion, die reale Macht hat, ist auf Musks Seite. Die Konstellation überrascht nicht: Die Reichen und Superreichen sind auf der Seite der Reichen und Superreichen. Um die Wogen zu glätten, dürfte die MAGA-Basis in den kommenden Wochen mit bewährtem Anti-Wokeness-Kulturkampf ruhiggestellt werden.
Aber dieses Mal dürfe die Strategie, mit Kulturkampf-Theatralik von ökonomischen Realitäten abzulenken, zumindest weniger gut funktionieren. Zum ersten Mal in den letzten acht Jahren gibt es so etwas wie einen inneren Konflikt innerhalb der MAGA-Bewegung. Zum ersten Mal fragen sich eingefleischte MAGA-Anhänger, ob sie von Trump betrogen wurden. Zum ersten Mal begeben sich MAGA-Koryphäen wie der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon in offene und lautstarke Opposition gegen die MAGA-Elite rund um Musk und Trump.
Auch, wenn Elon Musks Bürgerkrieg bereits zu Ende sein sollte: Der Aufstand der Basis hinterlässt Spuren. Das Fundament der MAGA-Bewegung hat Risse.
tolle Arbeit, danke!
Ich habe sowas läuten hören und gehofft, du würdest es zusammenfassen und einordnen. Ich wurde nicht enttäuscht 🤗