"Die Leute sollen selber recherchieren"
Rhetorische Tricks des verschwörungstheoretischen Diskurshabitus.
Roger Bittel ist im Laufe der Pandemie mit seiner Online-Plattform BITTEL TV zu einer der prominentesten Stimmen in der deutschsprachigen Corona-skeptischen Bewegung geworden. In seinen fast täglichen, mehrstündigen Live-Streams, mit denen er jeweils (Zehn-)Tausende von Menschen erreicht, lässt Bittel kein gutes Haar an der Corona-Politik und der Corona-Wissenschaft. PCR-Tests funktionierten nicht, das Corona-Virus Sars-Cov-2 sei gar nie nachgewiesen worden, und die Corona-Impfungen seien tödliche “Giftspritzen”. Mit anderen Worten: Ein spannender Gesprächspartner für einen kritischen Austausch.
In den heutigen Zeiten der Online-Echokammern, in denen wir uns problemlos nur mit Meinungen, die sich mit der unseren decken, umgeben können, ist es mir wichtig, auch mit Menschen den kritischen Dialog zu suchen, die, wie Bittel, eine komplett andere Sicht der Dinge als ich haben. Vielleicht lernen wir so etwas voneinander, vielleicht wird das Publikum positiv irritiert, und im Mindesten demonstriert man damit, dass ein zivilisierter Streit auch in Zeiten der viel beschworenen “gesellschaftlichen Spaltung” möglich ist.
Das sieht auch Bittel so, und er hat mich darum freundlicherweise zu einem Live-Gespräch eingeladen. In inhaltlicher Hinsicht verliefen die rund 100 Minuten hitzigen Hin- und Hers ähnlich wie mein Gespräch mit Daniel Stricker von Stricker TV, einem anderen prominenten Schweizer Corona-Skeptiker: Eher wenige gemeinsame Nenner und nur leidlich aufgeweichte Fronten, was die Sachfragen angeht. Interessanter fand ich eher, wie wir miteinander diskutiert haben. Ich glaube nämlich, in Bittels Argumentationsweise einige typische Ausprägungen des, wie ich es nennen will, verschwörungstheoretischen Diskursabitus erkannt zu haben: Von einer verschwörungstheoretischen Dramaturgie geprägte rhetorische Manöver oder Tricks, die einen wirklich offenen Dialog erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen.
Am klarsten kommt dieser Habitus in den letzten ca. 20 Minuten unseres Gesprächs zur Geltung. Ich kritisiere Bittel für sein stetes Kokettieren mit verschwörungstheoretischen Narrativen und nenne ein konkretes Beispiel: Seine Behauptung, dass die Abstimmung zum Covid-Gesetz vom 28. November 2021 manipuliert sein müsse, wenn das Gesetz angenommen wird. Grossangelegter Abstimmungsbetrug in der Schweiz? Ein riesiger Skandal — wenn die Behauptung denn wahr ist. Auf meine Kritik reagiert Bittel mit vier für den verschwörungstheoretischen Diskurshabitus typischen rhetorischen Manövern:
Ich kann es nicht glauben (Appeal to Incredulity): Die letzte Abstimmung zum Covid-Gesetz, meint Bittel, sei 60 zu 40 zugunsten des Gesetzes ausgegangen, und er könne sich schlicht nicht vorstellen, dass sich das wiederholt. Bei diesem Fehlschluss wird der blosse persönliche Unwille, etwas als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, als Begründung für eine Überzeugung herangezogen. Das macht recht offensichtlich keinen Sinn: Nur, weil ich etwas nicht glauben mag, gibt mir das nicht automatisch recht. Es gibt Menschen, die nicht glauben können, dass die Erde nicht eine Scheibe ist, aber nur darum, weil sie das nicht glauben können, ist ihre Überzeugung nicht wahr.
Es ist nur meine eigene Meinung: Bittels vielleicht zentrale Rechtfertigung für seine Abstimmungs-Verschwörungstheorie ist, dass er gar nicht behaupten wolle, dass das, was er behauptet, faktisch unbedingt wahr sei. Es handle sich einfach um seine eigene Meinung, die ihm niemand verbieten könne — schliesslich haben wir ja Meinungsfreiheit. Das ist ein geschicktes rhetorisches Ablenkungsmanöver, mit dem postuliert wird, dass eine klare Behauptung über einen Sachverhalt, also über Fakten, einfach eine komplett unverbindliche “Meinung” sei. Das ist sie nicht: Wenn wir Behauptungen über Sachverhalte aufstellen, sind diese Tatsachenbehauptungen zwar unsere aufrichtig gehegten Meinungen — die aber angesichts ihrer Tatsachenbezogenheit zusätzlich den Anspruch erheben, sachlich wahr zu sein. Und die Frage, ob sie wahr sind oder nicht, ist nicht Ansichtssache.
Etwas stimmt nicht: Sein Gefühl sage ihm, erklärt Bittel, dass etwas nicht stimme. Diesen Eindruck äussert er immer wieder während unseres Gesprächs. Konkret aufzuzeigen und zu erklären, was wie und warum “nicht stimmt”, wer also was für unlautere Sachen anstellt, vermag Bittel nicht. Es geht bei diesem Argument denn auch mehr um eine Art übergeordnetes Stimmungsbild, das die Grundlage für einen weitreichenden Confirmation Bias, also die Tendenz, das was man schon glaubt, auch weiterhin bestätigt sehen zu wollen, bildet: Wenn im Hintergrund ganz grundsätzlich etwas nicht stimmt und irgendwelche nicht weiter benannten Akteure ihren dunklen Machenschaften nachgehen, bedeutet das, dass auch einzelne Sachverhalte wie eine Abstimmung von diesen allumfassenden Missetaten betroffen sind. Aus dem Gefühl, dass etwas nicht stimmt, speist sich eine allgemeine quasi-paranoide Weltsicht.
Die Leute sollen selber recherchieren: Auf mein Nachhaken, ob er Evidenz oder Beweise für seine Abstimmungsverschwörungstheorie habe, gibt Bittel zu, dass er nichts dergleichen vorzuweisen hat. Aber darum gehe es auch nicht: Die Leute sollen einfach selber recherchieren und selber “die Punkte verbinden”. Meine wiederholte Nachfrage, was das denn in diesem konkreten Fall genau bedeute — Wie und wo soll ich was recherchieren? Welche konkreten Punkte wie verbinden? - bleibt leider unbeantwortet. Das “die Leute sollen selber recherchieren”-Argument ist die Krönung des verschwörungstheoretischen Habitus. Ein Totschlagargument, mit dem jede noch so hanebüchene Behauptung rhetorisch gerechtfertigt werden kann. Im Sinne von: Ich sage doch gar nicht, dass es so ist. Die Leute sollen mir doch gar nicht glauben, sondern sich selber informieren. Eine Variante dieses Fehlschlusses ist das Argument, man stelle bloss Fragen: Ich behaupte nichts, sondern stelle nur Fragen. Die Antworten muss jede(r) für sich selber suchen. Mit dieser Art der rhetorischen Trickserei zieht man sich aus der Pflicht, für das, was man sagt, auch Belege und Begründungen zu liefern.
Die rhetorischen Manöver, die den verschwörungstheoretischen Diskurshabitus auszeichnen, können auf einer rein emotionalen Ebene durchaus überzeugend wirken. Umso wichtiger ist es, diese Manöver als solche zu erkennen. Denn sie sind nicht nur gängige Fehlschlüsse, sondern auch Barrikaden, die einer rationalen, offenen Diskussion im Weg stehen. Je besser wir über sie Bescheid wissen, desto einfacher können wir sie aus dem Weg räumen.
Na ja, als Sozialwissenschafter mag das ja interessant sein. Mir ist die Lebenszeit zur kurz um mich mit Wirrköpfen auseinander zu setzen. Leute mit anderen Meinungen als meiner eigenen finde ich im richtigen Leben genug und lese auch noch die NZZ, die meistens nicht meine Meinung vertritt. Das muss reichen, für unterbelichtete Figuren habe ich keine Zeit übrig...