Warum gibt es (immer noch) Widerstand gegen Gesichtsmasken?
Ein Cocktail aus Machismo, Lügen und falsch verstandener "Freiheit".
Die wissenschaftliche Sicht ist ziemlich klar: Gesichtsmasken sind ausgesprochen nützlich, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu reduzieren. Und sie helfen als Bonus auch, Ansteckungen mit Grippe- und Erkältungsviren zu reduzieren. Eigentlich eine ziemlich klare Angelegenheit. Maske auf und gut ist; damit ist allen gedient.
Und trotzdem wollen auch heute noch ziemlich viele Leute keine Gesichtsmasken tragen und sehen Masken als etwas Schlimmes. Wie kommt das? Mittlerweile gibt es wissenschaftliche Evidenz, die Einblick in die Beweggründe von Maskenverweigerern gibt.
Machismo: Masken sind für Weicheier
Hey, wir wissen doch alle, dass sich ein richtig harter Kerl nicht von einem mickrigen Virus beeindrucken lässt. Eine Maske tragen? Sicher nicht — ich bin doch kein Schlappschwanz!
Das klingt nach einem dummen Klischee, aber mehrere Untersuchungen (z.B. hier, hier und hier) haben gezeigt, dass Männer, die stärker an ihrer Maskulinität hängen und an stereotype bis sexistische Geschlechter-Rollenbilder glauben (z.B., dass ein richtiger Mann hart bleiben muss) in der Konsequenz auch weniger bereit sind, eine Gesichtsmaske zu tragen. Die Symbolik der Maske suggeriert in der subjektiven Wahrnehmung offenbar Besorgnis oder Angst oder Zerbrechlichkeit, was für einen “manly man” natürlich gar nicht in die Tüte kommt.
Diese Einstellungen sind aber nicht nur bei Männern ein Problem. Die Befunde zeigen, dass auch Frauen mit klischeehaften Vorstellungen darüber, wie sich ein Mann zu verhalten hat und was Männlichkeit ausmacht, das Tragen von Gesichtsmasken viel stärker ablehnen.
Toxische Maskulinität, recht wortwörtlich.
Verschwörungstheorien, Desinformation, Lügen
Im Internet kursiert ziemlich viel Schrott über die Coronavirus-Pandemie: Bill Gates stecke dahinter; das Coronavirus sei eine Biowaffe; die Corona-Impfungen enthielten GPS-Chips und machten unfruchtbar; das Ganze sei nur ein Vorwand, um totalitäre Diktaturen einzuführen, etc. Die Corona-Pandemie ist auch eine regelrechte Corona-Infodemie.
Es ist rein menschlich natürlich gut nachvollziehbar, warum sich so viele Leute an Verschwörungstheorien klammern. Wir haben alle das Bedürfnis, in ungewissen Situationen Halt zu finden: Wir wollen klare und einfache Erklärungen und Antworten, die uns ein Gefühl von Kontrolle und Gewissheit vermitteln. Wenn alles eine grosse Verschwörung ist, hat das etwas Beruhigendes — die Situation ist zwar immer noch Scheisse, aber zumindest hat jemand die Situation aktiv verbrochen. Die Welt ist also doch nicht gar so ungewiss und chaotisch; ich weiss, was passiert.
Der Glaube an Corona-Verschwörungstheorien bleibt nicht ohne Folgen. Je stärker Menschen an Coronavirus-Verschwörungstheorien glauben, desto weniger sind sie bereit, Gesichtsmasken zu tragen (Und sie halten sich auch weniger an Social Distancing-Massnahmen.). Ein gutes Stück weit wohl, weil sie aufrichtig überzeugt sind, dass Gesichtsmasken ein Teil des teuflischen Komplotts der Corona-Diktatur sind und sie sich als eine Art Widerstandskämpfer*innen sehen. Gesichtsmasken haben damit eine enorm starke symbolische Kraft. Sie sind ein fast magischer Totem; in Kristallisationspunkt der angeblichen dunklen Machenschaften im Hintergrund. Ein Vorbote der kommenden Unterjochung.
Corona-Verschwörungstheorien waren wohl mehr oder weniger unvermeidbar, denn verschwörungstheoretisches Denken flammt in Krisenzeiten, in denen wir besonders stark nach Orientierung und Antworten suchen, immer stark auf. Aber die Situation wird durch gefährliche Desinformations-Superspreader, die ein grosses Publikum mit Bullshit eindecken, zusätzlich angeheizt. Im deutschsprachigen Raum berieseln Figuren wie Ken Jebsen von KenFM, Daniele Ganser, Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi Millionen von Menschen mit grotesken Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Leute nicht wissen, dass das, was sie behaupten, absoluter Humbug ist. Aber sie tun es, weil sie dadurch grosse Aufmerksamkeit kriegen — und gutes Geld verdienen.
Reaktanz
Du sagst mir, ich soll A machen? Fuck you, von dir lass ich mir nichts vorschreiben! A mach ich sicher nicht, du Arschloch!
Das ist eine saloppe Zusammenfassung des psychologischen Phänomens der Reaktanz. Wenn uns etwas vorgeschrieben wird und dadurch unser Spielraum, frei zu entscheiden, was wir machen wollen, eingeengt wird, reagieren wir reflexartig negativ und ablehnend — und wollen genau das machen, was verboten ist bzw. nicht machen, was vorgeschrieben ist.
Reaktanz ist ganz allgemein ein grosses Problem im Bereich der Gesundheitskommunikation. Viele Dinge, die gut für unsere Gesundheit wären, müssen als präskriptive Verhaltensänderung vermittelt werden. Iss weniger Süsses; beweg dich mehr; hör auf, zu rauchen; trink nicht so viel Bier; und so fort. Auch, wenn wir rein intellektuell verstehen, dass solche Empfehlungen sehr rational sind, nehmen wir sie emotional gerne als Angriff wahr, die unsere Freiheit einschränken, uns bevormunden und beleidigen. Wer nimmt schon gerne Befehle entgegen.
Diese reflexartige Ablehnung von noch so gut gemeinten Anweisungen ist auch bei Gesichtsmasken zu beobachten. Intellektuell mögen wir zwar verstehen, dass und warum Gesichtsmasken gut sind. Wenn uns aber jemand “zwingen” will, Gesichtsmasken zu tragen, fühlen wir uns auf die Füsse getreten. Zähneknirschend setzen wir die Maske vielleicht auf, empfinden diese Bevormundung aber als übergriffig.
Politische Demarkation
In der Debatte über Gesichtsmasken sollte im Grunde nur die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit zählen, aber Masken werden auch durch eine politische Linse gedeutet. Die Folge: Je nach politischem Lager, zu dem man sich zugehörig fühlt, werden Gesichtsmasken als nützlich oder schädlich empfunden. Am deutlichsten ist diese Konfliktlinie in den USA zu beobachten, wo sich Republikaner tendenziell viel stärker gegen alle Corona-Massnahmen stemmen, auch gegen Gesichtsmasken, während Demokraten Gesichtsmasken viel eher akzeptieren. Der Grund dafür ist im Wesentlichen, dass die republikanische Partei seit Beginn der Pandemie für möglichst wenig Corona-Massnahmen und möglichst keine Einschränkungen von Unternehmen und wirtschaftlicher Aktivität eintritt, was der breiten Masse der republikanischen Wählerschaft als “Freiheit” aufgetischt wird. Wehe, du schränkst meine Freiheit ein!
Die politische Corona-Landschaft ist im deutschsprachigen Raum nicht identisch mit der US-amerikanischen (nicht zuletzt, weil wir Mehrparteiensysteme haben), aber auch in unseren Breitengraden scheint Maskentragen ein Stück weit zum politischen Grabenkampf verkommen zu sein. So gibt es zum Beispiel Evidenz, dass unter den Corona-Querdenker*innen, die am liebsten alle Corona-Massnahmen abschaffen würden, Anhänger*innen rechtskonservativer Parteien (AfD in Deutschland, SVP in der Schweiz, FPÖ in Österreich) deutlich übervertreten sind. Eine zentrale Triebfeder hinter dem Maskengroll ist auch hier das Motiv des befürchteten Freiheitsverlustes, in Kombination mit verschwörungstheoretischen Motiven. Die Maske wird als vermeintliches Omen für die vielen schlimmen Dinge, die noch kommen, gesehen.
Fazit: Maskenhass ist nur ein Symptom
Wenn Menschen, die sich über Gesichtsmasken aufregen, sich wirklich nur über Gesichtsmasken aufregen würden, wäre die Sache eigentlich nur halb so wild. Wir könnten miteinander reden und probieren, der Angelegenheit halbwegs rational auf den Grund zu gehen.
Die Sache mit der Maske ist aber komplizierter, denn das Problem ist eigentlich gar nicht die Maske an sich. Die Evidenz zeigt, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Gesichtsmasken durch tiefgreifendere Faktoren verursacht wird: Machismo-Bullshit, Verschwörungstheorien, Reaktanz, politisches Stammesdenken. Solchen tief verwurzelten Dingen beizukommen, ist verdammt schwer.
Was können wir tun? Wahrscheinlich ist es nur bedingt hilfreich, Masken-Skeptiker*innen mit blossen Fakten über die Wirksamkeit von Gesichtsmasken einzudecken. Das kann nämlich zum Backfire-Effekt führen: Manchmal glauben Menschen noch stärker, was sie vorher geglaubt haben, wenn man sie nur mit Fakten konfrontiert, die ihre Sicht der Dinge widerlegen sollen.
Stattdessen brauchen wir so etwas wie einen Mix aus Fakten und Empathie. Maskengegner sehen sich als unterdrückt und unter Beschuss. Blosse Kritik an ihnen verstärkt diese Abwehrhaltung. Wenn wir aber aufrichtig signalisieren, dass wir ihre Beweggründe verstehen wollen, können wir in einem zweiten Schritt über Fakten reden.
Ist natürlich einfacher gesagt als getan. Tango kann man nur zu zweit tanzen, und in meiner subjektiven Erfahrung sind Maskengegner nicht unbedingt übertrieben daran interessiert, ihre Überzeugungen zu reflektieren. Aber vielleicht ist die Übung trotzdem nützlich, weil damit all jenen, die nicht eingefleischte Maskengegner und Corona-Querdenkende, sondern einfach nur unsicher sind, ein Stück weit ihre Bedenken und Ängste genommen werden können.