Der Bullshit-Populismus der NZZ
Die NZZ kritisiert, dass Menschen studieren. NZZ-Journis haben natürlich nicht studiert. Oder?
Die Neue Zürcher Zeitung NZZ stört sich seit geraumer Zeit daran, dass Menschen an Hochschulen studieren. Die jüngste Episode in diesem kuriosen publizistischen Kampf gegen Hochschulbildung ist ein Kommentar von Christina Neuhaus vom 4. Januar: “Kunstgeschichte studieren, weniger arbeiten, früher in Rente: Die Schweizer sind zu Konsumenten des Staats geworden”.
Das Kernargument des Artikels ist, dass zu viele Menschen studieren, und erst noch das Falsche — Sozial- und Geisteswissenschaften.
Nun gut, dieser Meinung kann man natürlich sein. Konsequenterweise wäre dann aber zu erwarten, dass die Journalist*innen, die bei der NZZ arbeiten, selber kein Hochschulstudium abgeschlossen haben. Das habe ich mir genauer angeschaut.
Studium bei der NZZ
Ich bin das Impressum der NZZ durchgegangen und habe die angegebenen Mitarbeitenden erfasst, insgesamt 328 Personen. Von diesen 328 Personen haben 306 eine redaktionelle Funktion, arbeiten also an publizistischen Inhalten. Zu einer dieser 306 Personen, einem Journalisten, konnte ich keine Informationen des Bildungsweges finden. Diesen Datenpunkt habe ich aus dem Datensatz ausgeschlossen. Total habe ich also 305 Personen mit redaktioneller Funktion analysiert. Die Daten sind hier abrufbar.
Wie viele Leute bei der NZZ haben studiert? Sicher nur eine kleine Minderheit, oder? Nein: 284 von 305 Personen haben ein Studium abgeschlossen. Ganze 93%.
Schon hier wird klar: Der Möchtegern-Populismus der NZZ ist Quatsch. Die NZZ kritisiert, dass Menschen studieren, aber die überwältigende Mehrheit der NZZ-Journis hat selber studiert.
Der Anteil der Studierten im Vergleich zu Leuten ohne Studium ist in den Redaktionen der NZZ und NZZ am Sonntag in etwa gleich.
Die meisten Leute bei der NZZ haben also studiert. OK. Aber sie haben selbstverständlich etwas Richtiges studiert, also MINT-Fächer, und nicht wischi-waschi Sozial- und Geisteswissenschaften, die Neuhaus in ihrem Artikel kritisiert. Muss ja so sein, oder?
Auch hier: Weit gefehlt.
Ganze 95% der NZZ-Redaktor*innen, die studiert haben, haben Sozial- und Geisteswissenschaften studiert. Was genau haben sie studiert?
Geschichte, Politikwissenschaft, Kommunikation, Germanistik dominieren — die Zusammensetzung der NZZ-Redaktion muss aus Sicht der NZZ die reinste Horrorshow sein.
Heuchelei ohne Ende
OK. Die NZZ ist also so zusammengesetzt, wie es aus Sicht der NZZ eigentlich ganz schlimm ist. Aber immerhin hat die Journalistin Christina Neuhaus, die den Artikel geschrieben hat, selber nicht studiert, richtig? Oder wenn, dann sicher ein MINT-Fach, korrekt? Nö, natürlich nicht: Sie hat Germanistik studiert.
Christina Neuhaus’ Feindbild ist — Christina Neuhaus.
Aber immerhin, immerhin hat keine einzige Person bei der NZZ Kunstgeschichte studiert, oder? Ansonsten wäre es sehr absurd, dass sich Christina Neuhaus über Menschen, die Kunsgeschichte studieren, lustig macht.
Natürlich haben mehrere Leute bei der NZZ Kunsgeschichte studiert. Die Heuchelei ist perfekt.
Wir nehmen also mit: Studieren ist schlecht; Sozial- und Geisteswissenschaften studieren ist noch schlechter. Ausser, die Leute bei der NZZ studieren selber Sozial- und Geisteswissenschaften. Dann ist das völlig in Ordnung.
Die NZZ könnte den alten Spruch “Quod licet Iovi, non licet bovi” zu ihrem offiziellen Motto machen.
Was soll der Bullshit?
Die Kritik der NZZ an Menschen, die studieren, ist offenkundiger Humbug. Oder genauer: Bullshit, im Sinne des Philosophen Harry Frankfurt. Es geht gar nicht darum, ob das, was gesagt wird, in irgendeiner Form Sinn macht. Es geht darum, Stimmung zu machen.
Was für Stimmung will die NZZ machen? In einem Akt der beachtlichen Gehirnakrobatik will sich die NZZ populistisch geben — studieren ist schlecht! —, um damit irgendwie politische Anliegen, die der Mehrheit der Bevölkerung dienen, zu torpedieren. Neuhaus kritisiert in ihrem Artikel, dass Menschen in der Schweiz “immer mehr im eigenen Interesse” abstimmen. Konkret geht es um die Abstimmung zur Einführung der 13. AHV-Rente für alle, die mit einer deutlichen Mehrheit angenommen wurde.
Die NZZ betreibt allzu offensichtlichen Pseudo-Populismus. Die Journalist*innen der NZZ sind Eliteangehörige, die dagegen sind, dass sich die materielle Situation für normale Menschen, die nicht den hohen sozioökonomischen Status wie sie selber haben, verbessert.
Es ist immer die gleiche Geschichte mit populistischem Bullshit: So tun, als ob man volksnah ist, in Tat und Wahrheit aber die Interessen der Elite, zu der man selber gehört, vertreten.
Es sollen alle studieren können was sie wollen. Geld ist nur ein Problem, weil Reichtum nicht wirklich besteuert wird.
Ich bin mit dem Fazit "NZZ predigt Wasser und trinkt Wein" nicht ganz einverstanden. ich finde das Produkt NZZ von der Qualität her nicht schlecht.
Natürlich kann man politisch anderer Meinung sein, aber das hat ja damit nichts zu tun.
Bei der Kritik der NZZ geht es ja vor allem um die, welche mal aus Orientierungslosigkeit studieren und dann damit beruflich gar nichts mit ihrem Studium anfangen - da gehören NZZ-Redaktoren bestimmt nicht dazu.