Führen Frauen an der Macht zu weniger Krieg?
Die These des femininen bzw. des feministischen Friedens.
Im Ukraine-Krieg, den der Kreml 2014 begann und 2022 zu einer umfassenden Invasion eskalierte, schwingt eine gute Portion Machismo mit. Der russische Präsident Wladimir Putin gibt sich in der Kreml-Propaganda seit Jahren bewusst maskulin und lässt sich gerne bei Aktivitäten wie Judo, Eishockey oder Krafttraining ablichten. Daneben inszeniert sich Putin auch bewusst als Hüter traditioneller Werte und Rollenbilder, die — so die Propaganda — im dekadenten Westen immer stärker verloren gingen1.
Ob dieser Extraportion zur Schau gestellter Männlichkeit drängt sich ein Gedankenexperiment auf: Wäre es zum Ukraine-Krieg auch dann gekommen, wenn Russland nicht einen Präsidenten, sondern eine Präsidentin hätte? Hätte sich auch eine Frau als russisches Staatsoberhaupt auf den Kriegspfad begeben?
In diesem spezifischen Einzelfall können wir natürlich nur mutmassen. Doch die übergeordnete Frage nach der potenziellen Korrelation zwischen Geschlecht und politischem Konflikt ist durchaus interessant. Gäbe es ganz grundsätzlich weniger Krieg und Konflikte, wenn Frauen mehr politische Macht hätten?
Als mögliche Antwort auf diese Fragen bieten sich mindestens zwei Hypothesen an. Die erste kann die These des femininen Friedens genannt werden. Sie besagt, dass Frauen intrinsisch anders “ticken” als Männer und inhärent weniger gewaltbereit sind, was sich auch in aussenpolitischen Entscheidungen widerspiegle. Die zweite These ist die These des feministischen Friedens. Gemäss dieser Perspektive irritieren Frauen in sicherheitspolitischen Angelegenheiten strukturell verfestigten Maskulinismus und senken so die Wahrscheinlichkeit, dass Konflikte ausbrechen.
Die These des femininen Friedens
Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrem Gewaltverhalten. Männer wie Frauen können aggressiv sein, aber bereits im Kindesalter neigen Jungen deutlich stärker dazu, ihre Aggressivität physisch auszuleben2. Dieser Unterschied bleibt auch in höherem Alter bestehen: Erwachsene Männer verüben deutlich häufiger Gewalttaten als erwachsene Frauen. Für diese Unterschiede gibt es mehrere mögliche neuropsychologische Erklärungen. Zum Beispiel scheinen Frauen eine ausgeprägtere Impulskontrolle und ein besseres Sensorium für moralische Probleme zu haben3. Auch entwickeln Frauen früher und stärker Sozialkompetenz, was Gewaltbereitschaft hemmen kann4. Ob und wie solche Eigenschaften einen direkten Einfluss auf Einstellungen zu Konflikt und Krieg haben, ist unklar.
Insgesamt neigen Frauen weniger zu Gewalt. Der Umstand, dass Frauen, statistisch gesehen, eine stärkere intrinsische Aversion gegen Gewalt haben, könnte ein kausaler Mechanismus femininen Friedens sein. Wenn Frauen Krieg als eine Form von Gewalt inhärent stärker ablehnen und, wenn Frauen mehr politische Macht erhalten, dann wird Krieg in der Konsequenz seltener.
Die These des feministischen Friedens
Bewaffnete Konflikte, Krieg und Militarismus sind historisch stark männerderdominierte Phänomene und Domänen. Die Männlichkeit des Krieges ist dabei zunächst eine einfache quantitative Realität: Die meisten Menschen, die in kriegerische Kontexte involviert sind — egal, ob auf der Ebene der Entscheidung und Führung oder auf der Ebene der Ausführung — sind Männer. Krieg hat aber auch eine spezifisch männliche oder maskuline Qualität.
Die hegemoniale Maskulinität von Politik und Militär, so das Argument dieser These5, beeinflusse die Kultur der Sicherheitspolitik und damit auch das Verhalten sicherheitspolitischer Entscheidungsträger. Typischerweise als maskulin tradierte Werte wie Stärke, Aggressivität, Ehre, Stolz usf. sind zwar nicht offizieller Bestandteil von Sicherheitspolitik, aber sie bilden den latenten ideologischen Überbau, der sicherheitspolitische Entscheidungen prägt und damit die Wahrscheinlichkeit von Konflikten steigert. Bei Konflikten geht es nicht nur um “rationale” strategische Ziele, sondern auch um latente ideologische Wertvorstellungen.
Die These des feministischen Friedens besteht nun darin, dass Frauen als “Aussenseiterinnen” mit einer anderen ideologischen Sozialisierung die Strukturen der hegemonialen Maskulinität in der Sicherheitspolitik besser als solche erkennen und ihren negativen Einfluss reduzieren können, bzw. ihm weniger ausgesetzt sind.
Was sagt die Praxis?
Sowohl die These des femininen als auch die These des feministischen Krieges klingen ein Stück weit plausibel. Doch wie sieht es in der Realität aus? Führen Frauen in politischen Machtpositionen zu weniger Krieg?
Das Problem mit dieser Frage ist, dass wir nur relativ wenige Datenpunkte haben, um sie zu beantworten. Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher beispielsweise ist ein Datenpunkt, der andeutet, dass Frauen nicht pauschal Hemmung vor Krieg und Gewalt haben. Aber das Problem mit solchen Einzelfällen ist, dass sie keine umfassenden Aussagen erlauben. Wir wissen beispielsweise nicht, was passiert wäre, wenn damals anstatt Thatcher ein Mann im Amt gewaltet hätte. Vielleicht wäre zum Beispiel der Falklandkrieg zu einem umfassenden Krieg gegen Argentinien eskaliert. Anekdotische Evidenz ist unschlüssig.
Systematische, besser belastbare Evidenz zur Frage von Frauen und Krieg liegt in eher indirekter Form vor. So wissen wir beispielsweise aus Umfragedaten, dass Frauen Krieg im Schnitt deutlich stärker ablehnen als Männer6. Frauen könnten damit indirekt beitragen, Krieg und Konflikte weniger wahrscheinlich zu machen: Heute haben Frauen dieselben politischen Rechte wie Männer, und wer in ein Amt gewählt werden will, muss auch die Einstellungen und Wünsche der Wählerinnen mitberücksichtigen. Die politischen Präferenzen von Frauen reduzieren damit womöglich die Kriegsbereitschaft auch männerdominierter Regierungen.
Es gibt zudem auch deutliche Evidenz, dass Bürgerkriege in einem Land seltener werden, wenn Frauen mehr politische Rechte und Partizipationsmöglichkeiten erhalten7. Sind Frauen stärker am politischen Prozess beteiligt, wandeln sich die politische Kultur und die politischen Institutionen eines Landes in Richtung friedvoller Konfliktlösung.
In einer Studie8, in der untersucht wird, ob in der Vergangenheit Königinnen oder Könige mehr Kriege anzettelten, zeigt sich, dass Königinnen kriegsfreudiger waren. Aber nur, wenn sie verheiratet waren: Königinnen ohne Ehemann neigten zu weniger Kriegshandlungen. Die aggressive Kriegspolitik verheirateter Königinnen, so die Autor*innen der Studie, gehe auf die Arbeitsteilung der Ehepaare zurück. Die Königin war das Staatsoberhaupt, aber Sicherheits- und Kriegspolitik wurde traditionellerweise vom Ehemann bestritten.
Der springende Punkt ist Diversität
Die Daten zur Frage, ob Frauen als politische Entscheidungsträgerinnen zu weniger Krieg führen, zeichnen kein eindeutiges Bild. Es gibt vereinzelte Evidenz, dass mehr politische Beteiligung von Frauen potenziell zu weniger Krieg führt, aber die These des femininen oder feministischen Friedens ist damit noch nicht abschliessend geklärt.
Vielleicht müssen wir aber einen Schritt zurückgehen und uns fragen, wie vernünftig die Fragestellung an und für sich überhaupt ist. Bei der Vorstellung, dass Frauen zu weniger Krieg führen könnten, schwingen nämlich auch ziemlich abgedroschene Stereotype mit. Vom Bauchgefühl her denken viele Menschen9, dass männliche Politiker in Fragen von Sicherheit und Militär kompetent sind, während Frauen bei Themen, die sich um “Mitgefühl” drehen (z.B. Familien- oder Sozialpolitik) eher aufgehoben sind. Wenn wir uns nun fragen, ob Frauen weniger zu Krieg neigen, ist die Frage zumindest ein Stück weit durch solcher Geschlechter-Stereotype motiviert — Politikerinnen sind doch sanft, sorgsam, empathisch; darum finden sie Krieg ganz, ganz schlimm.
Die Frage, über die wir reden müssen, ist darum vielleicht nicht so sehr, ob Frauen zu weniger Krieg führen. Stattdessen wäre es womöglich zielführender, darüber zu diskutieren, wie politische Entscheidungen ganz allgemein verbessert werden können. Wir wissen schliesslich, dass Probleme wie Groupthink10 auftreten, wenn Gruppen und Entscheidungsgremien allzu homogen zusammengesetzt sind.
Was ist die Lösung für solche Fallstricke des unfreiwillig gleichgeschalteten Denkens und Entscheidens? Mehr (kognitive) Diversität. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Biographien und Lebenserfahrungen Sachverhalte bewerten und Entscheidungen treffen, sinkt das Risiko, dass sich potenziell katastrophale blinde Flecken einschleichen.