Die Reaktionen auf Trumps “Liberation Day” vom 2. April, an dem die USA neue Importzölle auf Güter aus rund 180 Ländern erliessen, bewegten sich mehrheitlich zwischen Panik und Verwunderung. Panik, weil die drastische neue Zollpolitik die Wirtschaft nicht zuletzt in den USA vor grosse Ungewissheiten stellt. Verwunderung, weil nicht wirklich klar ist, warum das alles gemacht wird.
In einer Kolumne habe ich Trumps Handelskrieg als einen Auswuchs von Inkompetenz beschrieben. Ich glaube, dass Inkompetenz die Art und Weise, wie Trump und sein Kabinett ihren Handelskrieg führen, im Allgemeinen gut erklärt. Trotzdem lohnt es sich, Trumps Zollpolitik analytisch etwas vertiefter zu betrachten. Denn etwas wollen Trump und sein Kabinett mit den Zöllen ja erreichen, auch wenn dieses Etwas im ohrenbetäubenden Lärm der chaotischen Umsetzung der Zölle untergeht.
Die Frage, was Zölle nicht nur bei Trump, sondern allgemein bewirken können und sollen, ist wichtig. Importzölle sind keine neue Erfindung. Souveräne Staaten haben grundsätzlich das Recht, Zölle zu verhängen, wie ihnen beliebt. Der entscheidende Punkt ist, was dann ökonomisch und politisch passiert. In der turbulenten Berichterstattung zu den nicht minder turbulenten Trump-Zöllen ging diese Frage etwas unter.
Was genau verspricht Trump der amerikanischen Bevölkerung mit seinen Zöllen? Und wird er die Versprechen einhalten können?
Ziel 1: Abschaffung der Einkommenssteuer
Trump hat mehrmals erklärt, er wolle die nationale Einkommenssteuer in Teilen oder sogar komplett durch Importzölle ersetzen. Trumps Wirtschaftsberater Peter Navarro hat verkündet, die neuen Importzölle würden die grösste Steuersenkungen in der Geschichte der USA zur Folge haben. Das klingt auf den ersten Blick interessant. Wenn die nationale Einkommenssteuer teilweise oder komplett wegfällt, bleibt Menschen viel mehr von ihrem Einkommen. Der Staat nimmt gleich viel Geld wie vorher ein. Klingt nach einer Win-Win-Situation. Nur kann das in der Praxis leider nicht funktionieren.
Die Rechnung geht schlicht nicht auf. Zumindest nicht in einem realistischen Szenario. 2024 betrugen die Einnahmen über die nationale individuelle Einkommenssteuer in den USA rund 2.4 Billionen Dollar (2’400 Milliarden). Im gleichen Jahr importierten die USA materielle und immaterielle Güter für rund 4.1 Billionen Dollar. Trumps Zölle betragen (noch) zwischen rund 10% bis in den meisten Fällen rund 50%. Einige Länder sind nicht betroffen (Russland, Belarus, Kuba, Nordkorea; die Handelsvolumina sind dort aber gering) und einige Güter aus betroffenen Ländern werden von den neuen Zöllen vorerst ausgenommen, darunter Halbleiter sowie Medikamente und Arzneistoffe. Die durchschnittlichen Importzölle in den USA betragen nun, nach dem 2. April, 22.5% — der höchste Wert seit dem Jahr 1909. Das Trump-Kabinett geht davon aus, dass die am 2. April verhängten Zölle Einnahmen in Höhe von 600 Milliarden Dollar generieren. Also kann die Einkommenssteuer um 600 Milliarden gesenkt werden. Um die Einkommenssteuer komplett zu ersetzen, müssten die USA ausnahmslose Importzölle von rund 60% einführen.
Auch, wenn nur eine Reduktion der Einkommenssteuer um 600 Milliarden angestrebt wird: Das ist sehr viel. Einkommenssteuern würden insgesamt um ein ganzes Viertel sinken. Wo ist das Problem? Das Problem ist, dass diese Rechnung nur auf dem Papier funktionieren kann. Die Importzölle, die auf dem Papier 600 Milliarden generieren, werden das in der Praxis nicht tun.
Hohe pauschale Importzölle verteuern ausländische Güter. Wenn Güter teurer werden, sinkt die Nachfrage. Die Konsequenz: Es werden weniger Steuereinnahmen über Importzölle generiert als geplant, weil — logischerweise — wegen sinkender Nachfrage weniger importiert wird. Dieser Fehlschluss der endlos sprudelnden Einnahmen über Zölle hat eine fast rekursive Eleganz. Man berechnet zunächst theoretisch, wie viel Importzölle nötig sind, um Einkommenssteuer teilweise oder gänzlich zu ersetzen. Aber dann, just in jenem Moment, in dem die Importzölle wie berechnet eingeführt werden, ist 100% sichergestellt, dass deutlich weniger Steuern über die umgesetzten Importzölle generiert werden als berechnet wurde. Weil Importzölle über höhere Endpreise für Konsumenten die Nachfrage reduzieren.
Diese Spirale dreht nicht bis Null. Eine gewisse Menge an Einnahmen würde mittelfristig wohl mehr oder weniger konsistent durch pauschale Importzölle generiert. Zum Beispiel für Güter, für die nach wie vor eine Nachfrage besteht und für die es keine vergleichbare inländische Produktion gibt. Menschen in den USA würden auch dann weiterhin Kaffee trinken und Bananen essen, wenn sich diese Güter deutlich verteuern. Sie würden einfach weniger konsumieren.
Ein ganz konkretes aktuelles Beispiel für sinkende Nachfrage durch höhere Zölle ist die Videospielkonsole Nintendo Switch 2, die im Juni erscheinen soll. Der vor den neuen Zöllen angekündigte US-Preis für die Konsole betrug 450 Dollar. Mit den neuen Zöllen von 24% auf japanische, vor allem aber 46% auf vietnamesische und 49% auf kambodschanische Güter (die Konsole wird in Vietnam und Kambodscha hergestellt), klettert der Preis potenziell auf rund 660 Dollar. Das wäre eine massive Preissteigerung, die so gut wie sicher einen nicht-trivialen Teil der Konsumenten, die die Konsole für 450 Dollar gekauft hätten, vom Kauf abhält. Nintendo hat darum die Vorbestellungen für die neue Konsole vorerst ausgesetzt — im Wissen, dass eine solche Preissteigerung die Nachfrage deutlich dämpfen würde. Man kann auf dem Papier schon eine Fantasierechnung machen, dass eine Million verkaufter Switch 2-Konsolen so und so viel Steuereinnahmen über Zölle bringen würden. Aber das werden sie dann in der Praxis nicht, weil die durch diese Zölle verursachten Zusatzkosten die Nachfrage nach der neuen Konsole stark sinken lassen. Die Nachfrage geht nicht auf Null (es wird Steuereinnahmen über Zölle geben), aber die Million verkaufter Konsolen, von denen in der beispielhaften Ausgangsrechnung ausgegangen wurde, wird es nicht geben. Der rekursiven Natur von Importzöllen entkommt auch ein Donald Trump nicht.
Das Ziel, die Einkommenssteuer teilweise oder ganz durch Importzölle zu ersetzen, liegt aber nicht nur in weiter Ferne. Zölle werden die Einkommenssteuer nie in nennenswertem Ausmass ersetzen können. Der vermeintliche Trick, Einkommenssteuer in Teilen oder ganz durch Zölle zu ersetzen, ist schlicht zu gut, um wahr zu sein. Ganz offensichtlich. Ansonsten könnte man Importzölle beliebig erhöhen, z.B. auf 1000%, und die Staatseinnahmen damit über Nacht explodieren lassen. Diese Logik funktioniert nur in Märchen.
Die Idee, dass Importzölle als Ersatz für Einkommenssteuer taugen, hat zudem auch eine moralische Fussnote. Einkommenssteuern werden in den USA progressiv erhoben. Mit steigendem Einkommen fallen die Einkommenssteuern überproportional hoch aus. Importzölle als eine Art Konsumsteuer würden hingegen regressiv funktionieren. Unabhängig vom Einkommen verteuern sich Güter für alle Konsumenten gleich. Menschen mit tieferem Einkommen müssten dadurch einen höheren Anteil ihres Einkommens für die über höhere Preise umgesetzten Importzölle aufwenden. Dieser Mechanismus der Umverteilung von unten nach oben dürfte dem Trump-Kabinett aber einerlei, wenn nicht gar genehm sein.
Ziel 2: Inländische Produktion fördern
Das Trump-Kabinett hat auch erklärt, dass die neue strenge Zollpolitik industrielle Produktion zurück in die USA bringen soll. Das klingt auf den ersten Blick plausibel: Importzölle sind eine protektionistische Massnahme, mit der einheimische Industrien vor günstiger ausländischer Konkurrenz geschont und damit indirekt gefördert werden. Es gibt zahlreiche Studien, die relativ deutlich zeigen, dass z.B. günstige Importe aus China zu Deindustrialisierung in den USA beigetragen haben. Im Umkehrschluss sollte also gelten: Je mehr Zölle und je teurer Importe, desto mehr einheimische Produktion. Gar so einfach ist es aber nicht — und bei Trump wird die Rechnung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgehen.
Zunächst der offensichtliche Punkt: Wenn Zölle inländische Produktion fördern und Deindustrialisierung rückgängig machen sollen, bedeutet das, dass weniger Güter importiert werden. Dieses Versprechen ist aber ein direkter Widerspruch zu Trumps erstem Versprechen, mit Importzöllen die Einkommenssteuer zu reduzieren oder ganz abzuschaffen. Entweder bleiben Importe gleich hoch und Importzölle ersetzen einen signifikanten Teil der Einkommenssteuer. Oder aber Importe sinken und inländische Produktion wird gefragter. Beides gleichzeitig kann aber rein logisch nicht stattfinden.
Zurück zum Effekt von Zöllen auf Reindustrialisierung. Je näher das Preisniveau der einheimischen Güter zu den ausländischen ist, desto wirksamer sind Importzölle hinsichtlich ihres protektionistischen Effektes. Importzölle auf kanadischen Stahl beispielsweise haben die einheimische amerikanische Stahlproduktion angekurbelt. Aber bereits hier beginnen die empirischen Komplikationen. Die inländische Produktion stieg nicht markant, die Stahlpreise aber schon. Industrieproduktion kann nicht über Nacht massiv erhöht werden. Personal, Maschinen, sekundäre Infrastruktur sind alles Dinge, die Planung und Zeit benötigen.
Wären Trumps Importzölle ernsthaft als wirksame protektionistische Massnahme für industrielle Produktion gedacht, würde die Trump-Regierung entsprechende Industriezweige gezielt fördern und Anreize setzen, um die Produktion in den USA zu stärken. Unter Joe Biden wurde beispielsweise der “Chips Act” im Jahr 2022 verabschiedet. Der Chips Act ist ein Förderpaket in Höhe von 280 Milliarden Dollar, um die Produktion von Halbleitern, also Computerchips, in den USA zu fördern. Aufwendige Industrien, die im Ausland etabliert sind, können nicht über Nacht entstehen, nur weil die importierten Produkte etwas teurer sind. Wenn gewisse Industrien für ein Land strategisch wichtig sind, müssen sie aktiv gestärkt oder aufgebaut werden. Produktionskapazitäten entstehen nicht wie von Zauberhand, wenn von einem Tag auf den anderen Zölle verhängt werden.
Trumps Zölle sind das Gegenteil zielgerichteter Förderung von Industrien. Sie sind eine maximal breite passive Giesskanne: Alle Güter aus fast allen Industrien sind betroffen. Das ist keine Industrieförderung. Es ist nicht mal Protektionismus. Giesskannen-Importzölle sind unnötiger inflationärer Druck. Importzölle auf Kaffee und Bananen werden nicht dazu führen, dass in den USA Bananen und Kaffee in grossem Stil angebaut werden. Kaffee und Bananen werden einfach teurer.
Ein gewisses Mass an aktiver Förderung einheimischer Industrien, vielleicht auch in Kombination mit passiven protektionistischen Massnahmen, ist aus systemischer Sicht rational. Inländische Produktion wichtiger Güter schafft gesellschaftliche Resilienz und reduziert Risiken, die mit internationalen und damit zerbrechlichen Lieferketten und Abhängigkeiten verbunden sind. Ein Beispiel für solche Risiken sind Medikamente. Die Herstellung von Medikamenten und Arzneistoffen ist aus der Perspektive westlicher Länder zu einem grossen, in der Regel zum grössten Teil ausgelagert. Das ist für Pharmaunternehmen ökonomisch vorteilhaft, weil die Produktion z.B. in China und Indien günstiger ist. Aus systemischer Sicht ist das aber ein Risiko. Die Abhängigkeit von ausländischen Produktionsstätten bedeutet, dass es in Krisenzeiten zu Engpässen kommen kann, die man aus eigener Kraft nicht beeinflussen kann. Genau das haben wir im Zuge der Covid-Pandemie erlebt, als es zu einem Medikamentenmangel kam.
Langer Rede kurzer Sinn: Importzölle als protektionistische Massnahme können potenziell ein Werkzeug im Repertoire der Werkzeuge sein, mit denen inländische Industrien gefördert werden. Reindustrialisierung ist ein erstrebenswertes Mittel zum Zweck des Abbaus systemischer Risiken. Trumps pauschale Giesskannen-Zölle tun aber nichts dergleichen.
Ziel 3: Handelsdefizit tilgen
Ein weiteres erklärtes Anliegen der Trump-Regierung ist, Handelsdefizite über Importzölle zu tilgen. Was sind Handelsdefizite?
Individuen, Unternehmen und z.T. staatliche Organisationen importieren Güter aus dem Ausland und exportieren Güter ins Ausland. Wenn der Wert der Güter, die die gesamte Wirtschaft eines Landes im Zeitraum eines Jahres exportiert, höher ist als der Wert der importierten Güter, hat die Wirtschaft des Landes einen Handelsüberschuss. Wenn hingegen Güter für mehr Wert importiert als exportiert werden, hat die Wirtschaft des Landes ein Handelsdefizit. Importzölle sind eine Brechstange, die bewirken soll, dass weniger Güter importiert werden, wodurch das Handelsdefizit abnimmt.
Hier beginnen die Probleme bereits. Es liegt erneut ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Trumps ökonomischen Versprechen vor. Wir erinnern uns: Trumps Importzölle sollen die Einkommenssteuer teilweise oder ganz ersetzen. Wenn das Trump-Kabinett aber gleichzeitig verspricht, dass Importzölle das Handelsdefizit abbauen, weil viel weniger importiert wird, widerspricht das der Behauptung, die Einnahmen über Zollimporte würden so gross sein, dass es die grössten Steuersenkungen aller Zeiten bei der Einkommenssteuer geben werde.
Aber zurück spezifisch zum Handelsdefizit. Das Argument, dass Zölle zu weniger Importen und damit zu weniger Handelsdefizit führen, klingt auf den ersten Blick intuitiv nachvollziehbar. Wenn ein Land zu viel importiert, so die Lesart, schickt es zu viel Geld ins Ausland. Mit Importzöllen wird weniger Geld ins Ausland geschickt und es bleibt mehr im Inland. Diese Vorstellung von Handelsdefiziten als gefährlichen Abfluss von Geld ist aber falsch. Handelsdefizite sind nicht inhärent negativ für eine Wirtschaft — und können sogar positiv sein.
Die USA sind die grösste Volkswirtschaft der Welt. Die regelmässigen Handelsdefizite der USA bedeuten grundsätzlich, dass Menschen und ggf. Unternehmen mehr konsumieren (in einem weiten Sinn) als im Land hergestellt werden kann. Das kann durchaus positiv sein. Wenn Unternehmen in den USA beispielsweise mehr Stahl kaufen als in den USA hergestellt werden kann, wenn also die Nachfrage nach Stahl grösser als das inländische Angebot ist, bedeutet das grundsätzlich, dass rund um Stahl sehr grosse wirtschaftliche Aktivität gegeben ist. Es werden viele wirtschaftlich nützliche Dinge damit gebaut und hergestellt. Diese Logik gilt sogar für eher oder gänzlich hedonische Güter, die Konsum im engeren Sinn darstellen und keine produktiven Investitionen sind. Commodities wie Kaffee tragen zum Handelsdefizit der USA bei. Kaffee kann in den USA schlecht angebaut werden, aber sehr viele Menschen trinken gerne Kaffee — und können ihn sich leisten. Das ist ein Indikator wirtschaftlicher Stärke, nicht Schwäche.
Hinzu kommt der wichtige Aspekt, dass ein Handelsdefizit nicht einfach bedeutet, dass Geld einseitig wegfliesst. Die Rechnung bei internationalem Handel ist am Ende immer ausgeglichen. Zwei wesentliche Mechanismen kommen dabei zum Zug. Erstens fliesst ein Grossteil des für Importe im Ausland ausgegebenen Geldes zurück in das eigene Land in Form von Kapitalströmen. Ein Handelsdefizit bedeutet einen Kapitalüberschuss. Wenn die USA ein Handelsdefizit mit der Schweiz haben, haben der Schweizer Staat und Schweizer Unternehmen ein Interesse daran, dass der Dollar-Überschuss, der durch die Exporte generiert wurde (über die Güter, die amerikanische Unternehmen in Dollar gekauft haben), wieder produktiv genutzt wird — nicht zuletzt in den USA, der Heimat des Dollars. Zentralbanken legen ihre Dollar-Devisenreserven in Staatsanleihen an, Unternehmen investieren im amerikanischen Markt, Banken vergeben in den USA Kredite. Was rausgeht, kommt indirekt wieder hinein.
Der zweite Ausgleichsmechanismus bei Handelsdefiziten ist die Abwertung der lokalen Währung. Dieser Mechanismus kommt zum Zug, wenn Kapitalströme geringer als das Handelsdefizit ausfallen. Angenommen, es käme in den USA zu einer solchen Konstellation und unter dem Strich fliesst mehr lokale Währung, US-Dollar, ins Ausland als wieder hereinkommt. Das Angebot der Währung steigt auf dem Devisenmarkt (mehr Dollar fliessen aus den USA), aber weil es asymmetrisch weniger Exporte aus den USA und weniger Kapitalströme in die USA gibt, steigt die Nachfrage nach der Währung nicht proportional zum Angebot. Das Überangebot an US-Dollar im Vergleich zur Nachfrage auf dem Devisenmarkt führt zu einer Abwertung des Dollar. Warum ist Abwertung der lokalen Währung ein Ausgleichsmechanismus? Weil eine schwächere inländische Währung Importe relativ gesehen verteuert und Exporte günstiger macht. Dadurch wird weniger importiert und mehr exportiert. Handelsdefizite werden abgebaut.
Die USA haben in der Nachkriegszeit nur periodisch signifikante Abwertung des US-Dollars erfahren. Der grösste Schock fand in den 1970er Jahren unter Richard Nixon statt, als der damalige Goldstandard im Rahmen des Brettons-Woods-Systems beendet wurde. In den 2000er Jahren erfuhr der Dollar eine Abwertung im Zuge der globalen Finanzkrise 2008. Typischerweise kompensieren die USA ihr Handelsdefizit aber mit regen Kapitalströmen.
Wir halten fest: Handelsdefizite sind viel besser als ihr Ruf, vielleicht besonders im Fall der USA. Handelsdefizite bedeuten nicht, dass ein Land Geld und Wohlstand verliert. In Situationen, in denen Handelsdefizite nicht durch ins Land fliessende Kapitalströme gedeckt werden, sorgt die marktbasierte Abwertung der inländischen Währung für einen Abbau des Handelsdefizits. Handelsbilanzen funktionieren grundsätzlich. Wären Handelsdefizite tatsächlich die Bedrohung wären, als die Trump und sein Kabinett sie wahrnehmen, wäre die amerikanische Wirtschaft schon vor langer Zeit komplett implodiert. Die USA haben seit rund 50 Jahren ein Handelsdefizit.
Importzölle sind für den nachhaltigen Umgang mit Handelsdefiziten aber nicht nur nicht nötig. Sie können sogar schaden. Zum Beispiel, wenn andere Länder auf neue Zölle mit eigenen Zöllen reagieren. Wenn die USA Importzölle für Güter aus China einführen, kann sich China mit Importzöllen auf Güter aus den USA revanchieren. Damit schiessen sich die USA ins eigene Bein: Importe aus China in die USA werden zwar unattraktiver, aber genauso werden US-Exporte nach China wegen der neuen chinesischen Zölle gehemmt. Unter dem Strich gibt es nicht mehr US-Exporte, sondern nur gesamthaft weniger Handel. Eine Lose-Lose-Situation.
Aber sogar, wenn Importzölle asymmetrisch verhängt werden, kann ein Problem entstehen. Gegenwärtig werden für Güter aus der Schweiz Importzölle in Höhe von 31% verhängt. Die Schweiz hat aber nicht mit eigenen Zöllen auf US-Güter reagiert. Das ist das Wunschszenario des Trump-Kabinetts: Importe nehmen ab, Exporte bleiben gleich. Wäre da nur nicht der lästige Devisenmarkt. Wenn die Schweiz nämlich weniger Güter exportiert, sinkt die Nachfrage nach Schweizer Franken. Der Schweizer Franken erfährt durch sinkende Nachfrage eine Abwertung. Dadurch werden aber Importe für die Schweiz unattraktiver — und Exporte wieder attraktiver. Der US-Dollar wird zudem relativ zum Schweizer Franken stärker. Mit dem umgekehrten Effekt: Importe in die USA werden attraktiver, Exporte aus den USA unattraktiver.
Das alles bedeutet nicht, dass Handelsdefizite immer unproblematisch sind. Konstant hohe Handelsdefizite können, wie ich oben argumentiere, Deindustrialisierung fördern und damit systemische Risiken schaffen. Konstant hohe Kapitalströme aus dem Ausland können auch ein Risiko darstellen. Wenn ausländische Regierungen und Unternehmen zunehmend mehr Dinge in einem Land besitzen, verliert das betroffene Land potenziell direkt oder indirekt (z.B. über politischen Druck und Beeinflussbarkeit) die Kontrolle über wichtige Ressourcen und Infrastruktur.
Bei Trump und seinem Kabinett geht es aber nicht um solche Risiken. Ihre Sicht scheint einfach zu sein, dass Handelsdefizite inhärent negativ sind, weil “Defizit” suggeriert, dass Geld verloren gehe und man in Handelsbeziehungen verliere. Das ist falsch.
Grössenwahn
Die drei ökonomischen Argumente für Trumps Zölle machen bestenfalls keinen Sinn. Sie sind wenig mehr als einander widersprechendes Wunschdenken und eine falsche Auslegung von Handelsdefiziten. Bei den Zöllen geht es aber nicht nur, oder vielleicht nicht mal in erster Linie, um Wirtschaftspolitik. Es geht um Machtpolitik. Es geht darum, dem Rest der Welt zu zeigen, dass ein Donald Trump macht, was Donald Trump machen will.
Trump und sein Kabinett haben einer geregelten internationalen Ordnung den Rücken gekehrt. Spätestens mit der Ankündigung, dass Grönland wenn nötig mit Gewalt annektiert wird, hat die Trump-Regierung eine neue multipolare Welt ins Leben gerufen. Jedes Land für sich; die grossen erpressen die kleinen. Grössere als die USA gibt es nicht.
Das Kuriose daran ist, dass das alles nicht nötig ist. Die politische und die wirtschaftliche Macht der USA war vor Trump immens. Es gibt beispielsweise keine auch nur ansatzweise rationale Erklärung, warum Trump seinen Handelskrieg ausgerechnet mit Kanada begann. Kanada ist seit Jahrzehnten der engste politische und wirtschaftliche Verbündete der USA. Die Triebfeder bei Trump und seinem Kabinett scheint die Überzeugung zu sein, dass Kooperation schlecht ist und die Welt ein blosses Nullsummenspiel ist. Anders ist Trumps Obsession mit Handelsdefiziten, die er offensichtlich nicht versteht, kaum zu erklären.
Mit den neuen Zöllen hat Trump mit voller Wucht einen politischen Vorschlaghammer geschwungen. Es ist eine Machtdemonstration, ja. Die Märkte in vielen Ländern reagieren panisch; diverse Länder versuchen, mit den USA zu verhandeln; Ungewissheit ist das Gebot der Stunde. Aber wozu das Ganze? Was soll der Nutzen davon sein? Trumps Zoll-Vorschlaghammer trifft die USA am stärksten. Er ist daran, die amerikanische Wirtschaft grundlos zu beschädigen, vielleicht sogar zu ruinieren, obwohl die USA neben China die grösste, dominierende Wirtschaftsmacht der Welt sind (oder waren). Die USA hatten wirtschaftliche und politische Vormachtstellung auf der Welt. Es ist surreal.
Rational lässt sich der Zoll-Irrsinn nicht erklären. Ich glaube, es geht um ein vernunftfreies, ein emotionales Motiv. Trump und sein Kabinett sehen sich als grosse historische Figuren, die eine neue Welt erschaffen.
Sie sind grössenwahnsinnig.
Trump schwärmt immer wieder von William McKinley, dem US-Präsidenten von 1897 bis 1901. McKinley war zuvor als Kongressabgeordneter Architekt des “McKinley Tariff”-Gesetzes von 1890, mit dem Importzölle von rund 50% auf viele Güter erhoben wurden. Er gilt als grosser Verfechter von Importzöllen. Trump scheint eine intensive Sehnsucht nach dieser Zeit zu verspüren. Kurz nach Amtsantritt machte Trump die irrwitzige Behauptung, die USA seien von 1870 bis 1913 am reichsten gewesen, dank hoher Zölle. Das ist eine Art akuter Realitätsverlust, herbeigeführt durch Fantasien von Grösse und Dominanz.
Trumps Grössenwahn zeigt sich nicht zuletzt in Trumps Proklamation des “Liberation Day” am Tag der Zollankündigungen. Wenn von Tagen der Befreiung die Rede ist, ist in der Regel Befreiung von Besetzung und diktatorischen Regimes gemeint. Trump wähnt sich in einem solchen historischen Umbruch. Er glaubt, die USA mit seinen Zöllen von einem grossen Unrecht, von grosser Unterdrückung zu befreien. Und er glaubt, damit als grosser Befreier in die Geschichte einzugehen.
Es ist Grössenwahn. Und es ist Autoritarismus. Während Trump einen globalen Handelskrieg entfacht, um die Finanzen der USA vermeintlich zu korrigieren, plant er gleichzeitig, zu seinem 79. Geburtstag im Juni eine gigantische Militärparade abzuhalten, die rund 100 Millionen Dollar kosten würde. Und die USA haben nicht mal eine Tradition von Militärparaden. Das ist für ihn und sein Umfeld kein Widerspruch. Der wichtigste Mensch der Geschichte soll gebührend gefeiert werden.
Nachwort: Chaos
Einleitend schreibe ich, dass ich bei Trump und seinen Weggefährten Inkompetenz diagnostiziere. Nun, mehrere Tausend Wörter weiter, lande ich bei der gleichen Diagnose: Es ist Inkompetenz. Aber nicht nur. Trumps Zollpolitik ist ökonomisch hanebüchen. Es geht um grössenwahnsinnige Ambitionen.
Grössenwahn, masslose Selbstüberschätzung, ist für sich genommen schon gefährlich. Grössenwahn in Kombination mit Inkompetenz ist das Rezept, das die Welt ins Verderben stürzt. Die Welt ist so komplex wie noch nie. Wir stehen vor so grossen systemischen Risiken wie noch nie. Das Fortbestehen unserer Zivilisation hängt davon ab, dass wir diese Komplexität verstehen und die Risiken, die sich aus ihr ergeben, erfolgreich abbauen. Das ist die grösste Herausforderung in der Geschichte der Menschheit.
Ich habe in diesem Text viel über Trump und seine Zölle geschrieben. Aber es geht letztlich nicht um Trump. Es geht nicht um Zölle. Das sind “nur” Folgen eines grösseren Problems. Das eigentliche Problem ist eine sich weltweit ausbreitende politische Kultur der destruktiven Komplexitätsverweigerung, des grössenwahnsinnigen und mutwilligen Realitätsverlustes. Eine politische Kultur, die in einer Zeit, in der so viel auf dem Spiel steht wie noch nie, in der bedachtes Risikomanagement wichtiger denn je ist, Kooperation verunmöglicht und stattdessen Chaos sät.
Eine politische Kultur, die die Pforten zur Hölle des gesellschaftlichen Kollapses weit aufreisst.