Warum wir Medienförderung brauchen
In einer Demokratie muss uns Medienvielfalt etwas wert sein.
Im Juni beschloss das Schweizer Parlament, die staatliche Förderung privater journalistischer Medien auszuweiten. Im Rahmen des beschlossenen Massnahmenpakets sollen beispielsweise zum ersten Mal auch Online-Medien mit öffentlichen Beiträgen gefördert werden. (Bis zu diesem Beschluss war die öffentliche Medienförderung im analogen Zeitalter festgefahren; nur gedruckte Presse und klassischer Rundfunk wurden unterstützt.)
Gegen die erweiterte Medienförderung regte sich rasch Widerstand, und ein Komitee hat im Oktober erfolgreich ein Referendum gegen das Massnahmenpaket eingereicht. Voraussichtlich im Februar 2022 entscheidet die Schweiz an der Urne, ob private Medien stärker durch öffentliche Fördergelder unterstützt werden sollen.
Unabhängig davon, wie die Abstimmung ausgeht, wird die Debatte zum Referendum eine durchaus berechtigte Grundsatzfrage aufwerfen: Warum sollen wir als Gesellschaft eigentlich *überhaupt* private Medienorganisationen unterstützen? Einerseits gibt es ja bereits die komplett öffentliche SRG SSR, und andererseits machen private Medienorganisationen Geld mit Werbung, mit Abonnements, oder mit beidem. Wozu also ein aus Steuergeldern finanzierter Zuschuss?
Die Antwort: Die Entwicklungen der letzten rund 20 Jahre zeigen unmissverständlich, dass die Bedingungen des kommerzialisierten Medienmarktes zu einem regelrechten Zusammenbruch der Medienvielfalt führen. Ohne öffentliche Medienförderung verkümmert das Mediensystem weiter in Richtung Oligopol, und die für Demokratie überlebenswichtigen Leistungen eines vielfältigen, kritischen Journalismus können immer weniger erbracht werden.
Der digitale Umbruch, oder: Die fetten Jahre sind vorbei
Das 20. Jahrhundert war in mehrfacher Hinsicht die Blütezeit der klassischen Massenmedien. Zum einen nahmen Journalismus und Medien im letzten Jahrhundert die Rolle ein, die wir ihnen auch heute noch zuschreiben: Die fast sagenumwobene vierte Gewalt, die mit kritischer Berichterstattung den Mächtigen auf die Finger schaut und dafür sorgt, dass wir als Gesellschaft sehen, wo es Probleme gibt. Zum anderen fanden private Medienorganisationen im letzten Jahrhundert ein nachhaltiges und einträgliches Geschäftsmodell: Verkauf am Kiosk, Verkauf von Abonnements, und vor allem der Verkauf von Werbung.
Der Verkauf von Werberaum war für Massenmedien sehr lukrativ, weil sie im letzten Jahrhundert die zentralen Kristallisationspunkte der öffentlichen Aufmerksamkeit bildeten. Radio, Fernsehen und die Presse sprachen ein gebündeltes und grosses Publikum an, und das machte sie für Werbekunden nicht nur attraktiv, sondern unumgänglich. Wer mit seinen Produkten viele Menschen auf einen Schlag erreichen wollte, konnte dies nirgends besser als über Massenmedien machen. Diese Konstellation war alles in allem eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Medien hatten ein nachhaltiges Geschäftsmodell, die Werbekunden ein Fenster in die Köpfe und Herzen der Massen, und wir als Mediennutzer*innen eine grosse Auswahl an lokalen, regionalen und nationalen Medien. Das System funktionierte; es gab nur Gewinner*innen.
Und dann kam das Internet.
Es klingt ein bisschen klischeehaft, wenn die Rede davon ist, wie sehr das Internet dies oder jenes verändert hat. Im Fall der Medien schlug das Internet aber tatsächlich wie eine digitale Bombe ein, die das ehemals wohlige Schlaraffenland von Radio, Fernsehen und Presse in eine tiefe, wenn nicht gar existenzielle Krise gestürzt hat. Warum war das Internet für das ehemals so stabile und nachhaltige System werbefinanzierter Medien destruktiv?
Zum einen hat das Internet unsere Mediennutzung stark umgekrempelt. Statt Fernsehen zu schauen und gedruckte Zeitungen zu lesen, sind wir immer stärker online unterwegs. Wir besuchen Nachrichtenwebseiten einerseits direkt online, und wir tummeln uns andererseits und immer stärker auf Social Media-Plattformen, um Nachrichten zu lesen. Diesen Trend dokumentiert zum Beispiel der Reuters Institute Digital News Report; eine grosse, ländervergleichende Untersuchung.
Zum anderen haben die Internet-Zerwürfnisse des Geschäftsmodell der Medienhäuser mehr oder weniger komplett über den Haufen geworfen. In Zeiten von Facebook, Google, Youtube, Instagram, Twitter, TikTok und Co. sind journalistische Medien nicht mehr der einzige — oder überhaupt noch ein attraktiver — Ort, um mit Werbung Menschen zu erreichen. Mit den grossen Social Media-Plattformen lockt nämlich eine schöne neue Werbewelt, mit der journalistische Medien nicht mithalten können. Social Media-Plattformen sind Hightech-Datenstaubsauger, die es den Betreibern der Plattformen erlauben, massgeschneiderte Werbung und unmittelbare Rückmeldungen, wie gut die Werbung funktioniert (“Conversion”, “Click-through Rate”, etc.), zu verkaufen. Im Vergleich dazu ist Werbung bei klassischen Medien, egal, ob in analoger oder digitaler Form, ziemlich teuer und primitiv, und sie funktioniert nach dem ungewissen Giesskannenprinzip (Man hofft, dass das Publikum erreicht wird).
Die Konsequenz dieses tiefgreifenden Strukturwandels der Werbewirtschaft ist damatisch, aber wenig überraschend. Die Werbeeinnahmen bei klassischen Medien sind drastisch eingebrochen und das Werbegeld zu den Social Media-Plattformen abgeflossen. Das Bild in den USA, dem ehemaligen Medien-Werbe-Eldorado, ist sinnbildlich für diese weltweite Entwicklung:
Wie hat sich dieser drastische Umbruch werbefinanzierter Medien in der Praxis ausgewirkt? Aus Sicht von uns als Mediennutzer*innen könnte man ja auf den ersten Blick meinen, dass eigentlich alles ganz in Ordnung ist: Wir können heute auf dem Smartphone oder Computer so einfach so viele journalistische Medien wie noch nie abrufen. Also alles halb so schlimm? Leider nein.
Die Konsequenzen für die Medienlandschaft
Eines der zentralen Probleme, das durch die Medienfinanzierungskrise massgeblich verursacht wurde, ist Medienkonzentration. Weil es für kleinere, unabhängige Medienorganisationen immer schwieriger wird, finanziell zu überleben, gehen sie entweder direkt ein — oder werden von grossen Medienkonglomeraten aufgekauft . Für die Schweiz unterhält das Online-Magazin die Republik eine Chronologie der Medienkonzentration in der Schweiz. Das Fazit: Die Grossen werden grösser, und die Vielfalt an unabhängigen Medientiteln und Redaktionen nimmt zunehmend ab. Und zwar nicht nur hinsichtlich der Besitzstrukturen. Auch bei Inhalten, also bei der eigentlichen journalistischen Arbeit, nimmt Medienkonzentration zu. Es gibt immer mehr sprichwörtlichen Einheitsbrei: Berichterstattung, die identisch in mehreren Publikationen erscheint, die zum gleichen Medienkonzern gehören. Diese Entwicklung hat das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich im Jahrbuch “Qualität der Medien” 2020 untersucht.
Medienkonzentration ist aber nur das übergeordnete Problem der Medienfinanzierungskrise. Auf dem Nährboden der Finanzierungskrise und befeuert durch Medienkonzentration wachsen weitere demokratiegefährdende Pusteln. Zum Beispiel der Umstand, dass Medien immer stäker zum Instrument für die Stimmungsmache und Propaganda bisweilen superreicher politischer Patrons mutieren. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die USA, zum Beispiel im Bereich des Lokaljournalismus. In den USA, wie auch in anderen Ländern, gehen immer mehr lokale, selbstständige Medienorganisationen ein, weil sie sich nicht mehr über Werbung finanzieren können. An ihre Stelle treten dann oft, wie die New York Times letztes Jahr ausführlich aufgezeigt hat, pseudo-journalistische Propaganda-Vehikel, die weder lokal verankert sind noch Journalismus betreiben. Stattdessen handelt es sich um Online-Portale, die sich zwar Anstrich von Lokaljournalismus geben, in Tat und Wahrheit aber bezahlte rechtskonservative Desinformation streuen. Dieses “Pay-to-Play”-Muster zeigt sich in den USA auch auf nationaler Ebene. Rechts-reaktionäre Online-Medien wie “Breitbart”, “The Daily Wire”, “TheBlaze” und andere mehr wurden und werden von rechtskonservativen Milliardären wie den Gebrüdern Koch oder der Mercer-Familie finanziert, um zu ihren Gunsten Propaganda zu verbreiten. Wer genug reich ist, kauft sich eine Medienorganisation und beeinflusst damit massgeblich die öffentliche Debatte.
Ein drittes Problem der Medienfinanzierungskrise ist, dass sich Medienhäuser angesichts schwindender Werbeerlöse immer stärker an alternative, teilweise sehr problematische Einnahmequellen klammern. Einnahmequellen wie zum Beispiel das sogenannte Native Advertising. Native Advertising ist bezahlte Werbung, die als redaktioneller Inhalt getarnt und oft sogar direkt von Journalist*innen selber verfasst wird. Das Ziel von Native Advertising ist, das Publikum zu täuschen, indem Werbung in ein pseudo-journalistisches Gewand gehüllt wird. Native Advertising lässt zwar die Kasse klingeln (Branchenschätzungen zufolge wurden allein 2020 weltweit über 80 Milliarden US-Dollar mit Native Advertising eingenommen), aber es bedeutet ganz direkt den Ausverkauf des Journalismus. Wenn es keine Barriere mehr zwischen Redaktion und Werbung gibt, kaprizieren sich Medienorganisationen in hochproblematische wirtschaftliche Abhängigkeiten — und degradieren sich im Wesentlichen zu PR-Agenturen für ihre Werbekunden.
Es geht nicht um Turnschuhe oder Kaugummi, sondern um Demokratie
Im Zuge der Internet-getriebenen Digitalisierung wurden Mediensysteme weltweit also recht eindeutig gehörig durchgerüttelt. Aber warum soll das Anlass sein, mit öffentlicher Medienförderung einzugreifen? Grundsätzlich könnte ja einfach die Devise gelten: Pech gehabt. Der Aufstieg des Internets hat schliesslich zahlreiche Branchen und Unternehmen in arge Nöte gebracht, was wir gemeinhin als Wandel und Veränderung hinnehmen. Wenn wir für Medienorganisationen eine Ausnahme machen und öffentliche Unterstützung einführen bzw. ausweiten, müssten wir das nicht überall machen, wo das Internet die Dinge durcheinander wirbelt? Förderung für Kleiderläden, weil Zalando sie in Bedrängnis bringt? Förderung für Videotheken, weil sie nicht mit Netflix mithalten können?
Nein. Journalistische Medien haben in demokratischen Gesellschaften einen besonderen Status. Medien sind nicht einfach Unternehmen, die ein beliebig ersetzbares Produkt herstellen. Im Gegenteil: Kritischer, unabhängiger Journalismus ist ein wesentlicher und unersetzbarer Pfeiler funktionierender Demokratie. Ohne kritische Berichterstattung über Ereignisse auf der Welt und ohne kritische Recherchen über Macht, Ungleichheit und Missstände können wir als demokratische Gesellschaft keine wohlüberlegten Entscheidungen über unsere gemeinsame Zukunft treffen. Weniger Medienvielfalt, mehr Einheitsbrei, und mehr Einfluss für oligarchische Patrons sind ganz unmittelbare Gefahren für die freie demokratische Debatte.
Das ist der zentrale Grund, warum öffentliche Medienförderung nicht nur wünschenswert, sondern zunehmend unabdingbar ist. Es geht letztlich um Demokratie.
Medienförderung bedeutet nicht “Staatsmedien”
Ein zentrales Argument der Gegner*innen öffentlicher Medienförderung ist, dass damit so etwas wie “Staatsmedien” entstehen. Auf den ersten Blick scheint diese Kritik berechtigt: Ist es nicht ein Widerspruch und Interessenkonflikt, wenn Medien Geld vom Staat annehmen, sie aber gleichzeitig auch die Aufgabe haben, den Staat zu kontrollieren und zu kritisieren?
Grundsätzlich kann es diese Art von Interessenkonflikt geben. Wie, haben wir zum Beispiel diesen Oktober im Rahmen des Rücktritts von Sebastian Kurz erlebt. Einer der Skandale, der dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler zum Verhängnis wurde, war die “Anzeigenkorruption” seiner Regierung. Die Regierung Kurz hatte in diversen Medien sehr lukrative staatliche Anzeigen geschaltet, um dafür im Gegenzug wohlwollende, unkritische Berichterstattung zu erhalten. Ein Tauschhandel, der einer demokratischen Bankrotterklärung gleich kommt.
Doch genau diese Art von Interessenkonflikten ist bei transparenter, für alle Medienorganisationen einheitlicher Förderung ausgeschlossen. Wenn Medienorganisationen anhand klarer Kriterien, unabhängig von konkreten Inhalten und ohne willkürliches Einspracherecht seitens der Politik gefördert werden, sind keine Interessenkonflikte gegeben. Medien werden so nicht von einzelnen Politiker*innen bestochen, sondern im Gegenteil von uns als Bürger*innen systematisch unterstützt.
Vielfältiger, kritischer Journalismus ist wichtiger denn je
Ohne Journalismus keine Demokratie. Diese Devise trifft heute in Zeiten von um sich greifenden Verschwörungstheorien, Falschinformationen und Fake News mehr denn je zu. Darum ist es auch an der Zeit, dass wir Journalismus und Medien als das anerkennen, was sie schon seit Langem sind: Ein essenzieller Teil unserer demokratischen Infrastruktur, die wir als demokratische Gesellschaft in gutem Zustand halten müssen.
Im Detail müssen wir natürlich darüber debattieren, wie die Förderung genau ausfallen soll. Ich finde es persönlich durchaus bedenklich, dass im Rahmen der ausgeweiteten Medienförderung in der Schweiz auch Medienkonglomerate wie die TX Group, der grösste private Medienkonzern der Schweiz, in den Genuss zusätzlicher Fördergelder kommen sollen. Ich würde ein Modell, bei dem kleine, unabhängige und idealerweise nicht profitorientierte Medienorganisationen überproportional viel Förderung erhalten, bevorzugen.
In der Grundsatzfrage aber, ob Medienförderung überhaupt Sinn macht, scheint mir die Antwort eindeutig: Genauso so, wie wir als Gesellschaft in Strassen, Stromleitungen und Schulen investieren, müssen wir auch in kritischen, unabhängigen und vielfältigen Journalismus investieren. Zumindest, wenn wir auch mittelfristig als funktionierende Demokratie fortbestehen wollen.
Ich bin durchaus für Medienförderung, aber dieses Paket ist nicht gut gelungen. Natürlich habe ich die BefürworterInnen gehört, die versicherten, es sei halt nun mal eben der Kompromiss, der möglich gewesen sei. Aber wir StimmbürgerInnen müssen uns nicht mit dem zufrieden geben, was man uns vorsetzt. Wir können auch etwas ablehnen und in der Nachbefragung kommt dann hoffentlich zum Ausdruck, dass es nicht an der Medienförderung per se gescheitert ist, sondern weil dieses Paket eine zu grosse Giesskanne ist und grosse Verlage mit einem netten Zustupf versorgt, der besser zusätzlich in die Förderung kleiner, lokaler Medien fliessen sollte. Zudem: Das Geld, das Google, Facebook und Co. aus dem Verlagsgeschäft heraussaugen, soll den Verlegern mit Steuergeldern ersetzt werden? Nur, wenn auch diese US-Konzerne fair zur Kasse gebeten werden. Mein Fazit: ich werde missmutig Nein stimmen und auf ein besseres Paket hoffen...